Sonntag, 8. Februar 2009

Winter im Salento


Februar

Dem Kalender nach ist Februar ein Wintermonat. Und der Regel nach ist der Februar im Salento auch tatsächlich der kälteste Monat im Jahr.

Trotzdem….man spürt, der Frühling ist nicht mehr weit! An manchen Abenden, an denen man sich noch unterwegs findet, kann man es riechen. Wissen Sie, ein leicht modriger Geruch. Und doch, so ganz „hinten“… Frische. Die Tage werden länger im Februar. Es dämmert nicht schon um halb fünf, nein, bis nach 18 Uhr ist Licht, das allein schon kündigt ihn an… es kann sein man kommt irgendwann um 18.30 Uhr völlig fertig von der vielen Quatscherei des Maestro aus dem Friseurgeschäft und duftet stark nach Haarspray und da ist er dann.…der Frühling. Er „überduftet“ sogar den Haarspray…Die Luft ist an manchen Abenden milder. Und die Mandelbäume recken ihre knorrigen, zerbrechlichen Äste in den Himmel und aus den kahlen, bizarren Astformen schieben sich zartrosa Blüten. Filigran und zerbrechlich auch sie. Man kann sie kaum anfassen, schon fallen sie ab und segeln zu Boden. Aber im Halbdunkel leuchten sie. Sie „leuchten“ sozusagen den Frühling ein. Sie trotzen eisiger Frühjahrsstürme und vereinzelten „gelate“ – nein kein Speiseeis, sondern der gefürchtete Frost, der die Halbinsel bisher vielleicht sogar verschont hat. Wenn der Frühling längst nah ist, ist der Winter am Nächsten. So als wüsste er, dass er das Feld räumen muss und dann schlägt er an manchen Tagen noch mal so richtig zu. Apropos Feld: Die Bauern haben längst die Kartoffeln gesetzt und ein heftiger Nachtfrost kann die Pflänzchen natürlich erheblich dezimieren. Wussten Sie, dass die Sieglinde-Kartoffel und die Nicola-Kartoffel aus dem Salento stammt? Sie werden Ende Januar gesetzt und im Mai geerntet.

Mit den ersten Frühjahrsanzeichen sterben auch vermehrt die alten Menschen im Dorf. Eigentlich seltsam, nicht? Man möchte meinen, sie wollten den Winter nicht erleben, aber nein, der herannahende Frühling nimmt ihnen die Kraft zum Leben. Dann sind die Anzeigetafeln im Dorf voll von Todesanzeigen. Sie ersetzen den Lokalteil der Zeitung. Lecce ist weit, wenn’s um Persönliches geht, die Todesanzeigen müssen schnell aufgehängt werden, schließlich kommt der Tote spätestens 24 Stunden nach seinem Tod bereits unter die Erde. Diese Anzeigtafeln stehen längsseits mehrerer Straßen, die Leute verlangsamen ihre Fahrt und lesen, wer in der letzten Nacht von uns gegangen ist.

Der Februar ist natürlich auch der Karnevals-Monat. Man darf sich den Karneval hier nicht als traditionsgeladene Maskenshow wie Venedig oder gar den schwäbisch-alemannischen Fasching vorstellen. Trotzdem wird in die Umzugswagen von Gallipoli ein ganzes Jahr Arbeit gesteckt, je größer, desto besser und je aktueller desto besser. Wie im rheinischen Karneval behandelt der italienische politische Themen lokaler und nationaler Bedeutung. Karikaturen und Satire in gigantischen Pappmachée-Figuren, die an zwei Nachmittagen durch die Strassen gefahren werden und in einem Wettbewerb bis auf den letzten Narren das Publikum erfreuen. Dann werden die Mädchen als Prinzessinnen und die Jungs als Cowboys verkleidet und man geht „dai carri“ – zu den Wagen – gemeint ist der große Festumzug. Aber darüber hinaus ist der Salent nicht besonders karnevalsverrückt.. Es gibt Themenabende in den Discotheken und Tanz auf dem Marktplatz, aber das war’s eigentlich auch schon.

Naja, jedenfalls hoffen alle darauf, dass das Wetter besser wird. Waren Sie schon einmal während des Winters in Süditalien? Nein? Na, dann ziehen Sie sich mal warm an!

Man kann es sich eigentlich gar nicht vorstellen, dass man in Süditalien bei lauen 14 Grad Plus frieren soll….schon gar nicht in der Wohnung! Aber der Salento weist eine Besonderheit auf. Er ist fast wie eine Insel von allen Seiten von Meer umgeben. Und genau das macht die Sache anders: Es ist schrecklich feucht. Die Feuchtigkeit kriecht einem in die Kleidung und unter die Haut. Die Kleidung ist bei Scirocco klamm, das Haar sitzt nicht und kraust sich, es ist während des Tages draußen immer milder als im Haus. Noch so eine Kuriosität: Zwiebellook ist immer gut. Draußen um sich auszuziehen. Und drinnen umgekehrt! Die im Sommer so gesegneten Steinfußböden, gefliest oder Naturstein, die die Kühle den ganzen Tag über an den Raum abgeben, der sich sonst sicher zum Backofen aufheizen würde…im Winter tut er leider genau dieselbe Funktion!

Überhaupt: Es ist kalt in süditalienischen Behausungen. Das liegt auch an der nachlässigen Bauweise. Ich kann das ja auch verstehen. In Mitteleuropa muss man mit 8-10 Monaten Kälte rechnen, hier ist es umgekehrt. Der Winter dauert von Dezember bis März, höchstens! Es schneit so gut wie nie! Ausnahmen bestätigen freilich die Regel, einmal im Jahr gibt’s auf der salentinischen Halbinsel immer eine „weiße Nacht“, was sich nicht auf die im Dezember-Kapitel beschriebenen Event-Nächte bezieht, sondern auf sehr seltenen Schneefall, der dann in der Morgensonne auch schon wieder geschmolzen ist.

Nun – wer sich die Klimazonen-Landkarte vornimmt, wird bemerken, dass sich der Salento schon im subtropischem Klima befindet. Das bedeutet heiße, trockene Sommer und milde, regenreiche Winter. REGENREICH kann ich, was diesen Winter anbelangt, getrost GROSS schreiben. Es regnete seit Anfang November fast ununterbrochen. Und dann wird’s natürlich richtig ungemütlich…selbst die neueren Behausungen beginnen zu schimmeln. Das liegt zum Einen selbstredend daran, dass entsprechend wenig isoliert gebaut wird. Zum Anderen aber auch daran, dass ungenügend geheizt wird. Wenn man die Heizölpreise sieht, denkt man sich seinen Teil und versteht das auch. Aber in vielen Wohnungen und Häusern ist gar keine Zentralheizung vorgesehen…Die alten Häuser in den Dörfer heizen mit ihrem guten alten Kamin. Der wird gegen Abend angeheizt und hält die Wohnküche den ganzen Abend warm. Das Wohnzimmer wird eh’ nicht benutzt (siehe November-Kapitel) und die Schlafzimmer bekommen Heizdecken über die Matratze, das geht auch!

Die jüngeren Generationen mögen’s da schon auch eher kuschelig, aber den ganzen Tag eine leere Wohnung zu beheizen, damit man’s abends schön warm hat….“ma neanche per idea“ – daran denkt man doch nicht im Traum!!! Nein, da sind sie sparsam, die Salentiner! Nicht umsonst wird Ihnen beim Schlendern über den Markt oder beim Stöbern in Boutiquen und Kaufhäusern während der Wintermonate auffallen, dass es fast ausschließlich Wollpullover oder Wolljacken gibt. Damit würde man es in Mitteleuropa in keiner normal beheizten Wohnung aushalten! Aber hier tut das gut! Selbstgestrickte Wollsocken mit inbegriffen! Und ist billiger, glauben Sie mir!

Erst jetzt während der Weihnachtsfeiertage sprach ich mit einem befreundeten Paar, beide eingefleischte Salentiner, die aus beruflichen Gründen in Biella, nördlich von Turin leben. Sie sprachen über die so verschiedenen Lebensweisen der Norditaliener. Giampaolo bemerkte: „Es ist unglaublich, wie die Norditaliener heizen! Wir haben eine Wohnung in einem Hochhaus, mit zentralgesteuerter Heizung. Wir reißen erst mal alle Fenster auf, wenn wir abends heimkommen. 24 Grad in der Wohnung, das ist doch krank! Und es macht krank! Man kann sich doch was überziehen!“ Na, ich nehme an, dann ginge es ihm nördlich der Alpen genauso! Man muss freilich überlegen, ob er nicht ganz unrecht hat, angesichts der Krise, der weiter steigenden Heizölpreise, des gepredigten Klimaschutzes…

Na jedenfalls kommen die Salentiner auch so langsam darauf, dass ihre Region sonnengesegnet ist! (Nicht diesen Winter, aber das hatten wir ja schon). Nachdem im Jahre 2007 endlich auch Italien dem Klimaschutzpaket zustimmen musste, gibt es auch hier Subventionen für Fotovoltaikanlagen.
Genauer gesagt, es gab sie schon früher, aber damals war das ein großes Risiko, den italienischen Staat zum „Partner“ zu haben. Man selbst musste die ganze Investition tätigen und wenn dann in dem Pott noch Geld übrig war, dann bekam man eventuell was von dem Kuchen ab….darauf hatte sich natürlich keiner eingelassen. Seit 2007 aber gelten europaweite Regelungen auch hier. Die Mühlen der italienischen Bürokratie mahlen natürlich etwas langsamer, aber es geht! Und so wird mein ganz persönlicher Traum vielleicht wahr werden, und alle Flachdächer werden Sonnenstrom produzieren! Dann könnte die salentinische Halbinsel theoretisch doch fast autark werden – energietechnisch gesehen….Vielleicht wird dann ja aus der „Repubblica Salentina“ mehr als nur „uno stato d’animo“…..einem Gemütszustand, einem Seelenzustand, oder, sinngemäß übersetzt, einem Land, wo die Seele zuhause ist!

Ja – un pò di pazienza, ich erkläre Ihnen ja gleich, was es damit auf sich hat:

2007 wurde diese „Repubblica Salentina“ über die Schul-Kooperative „Arianoa“ – Dialekt für „Aria nuova“ – Neue Luft, besser „Neuer Wind“ gegründet. Sie besitzt kein „echtes“ Territorium, wohl aber eines der Herzen, der salentinischen Seele. Es handelt sich hierbei um eine Initiative eines Handelsgymnasiums „Costa“ in Lecce. „Repubblica Salentina“ wird als „Brand“, also als Markennamen geboren. Unter diesem Markennamen finden Events statt, werden Marketingkonzepte für die hiesige Tourismusbranche entwickelt und weitere expandierende Initiativen, wie das Beducken von Souvenirs auf den Weg gebracht, vor allem aber die hiesige Kultur und ihre Traditionen, die landschaftlichen Schönheiten, der sprichwörtlichen Gastfreundschaft der Salentiner neu entdeckt und gefördert. Dabei hilft in diesem Jahr „Class Action“. Class Action ist eine Schul-Reality. Sie wissen schon, diese etwas hirnlosen Shows, in denen es darum geht in einem bestimmten Zeitrahmen unter bestimmten Bedingungen auszuharren und nicht aus dem Spiel gewählt zu werden oder aufzugeben. Class Action ist aber anders. Sie greift das Reality- Konzept auf, das unter den Jugendlichen großen Erfolg hat und spickt es ein bisschen mit nützlichem und interessantem, vor allem mit jeder Menge praktischen Lerninhalten! (Huch, da ist doch glatt die Lehrkraft mit mir durchgegangen….sorry!) Die 13. Klasse, also die diesjährigen Abgänger „pushen“ das Label „Repubblica Salentina“. Dabei geht es um neue Marketing-Konzepte, es geht darum, Manager zu sein, nicht zu spielen! Das Geld dazu ist auch ganz reell. Es stammt von Spenden, die Online veröffentlicht werden, das Ganze funktioniert also wie eine richtige Firma!

Die Partie wird während des laufenden Schuljahrs gespielt. Start war im Oktober 2008, Abpfiff wird im Mai 2009, also kurz vor den schriftlichen Abi-Prüfungen sein. Die Rollenverteilung der Mitspieler ist klar. Mehrere Gruppen stellen verschiedene Unternehmer und ihr Führungspersonal dar. Die Gruppe teilt sich wiederum auf in Verantwortungsgebiete. Jede Gruppe entwickelt neue Konzepte und bringt sie real auf den Weg. Dabei ist Kreativität, Machbarkeit, Finanzierbarkeit genauso gefragt wie die Fähigkeit, wirkliche Unternehmen zu finden, die die Marketingkonzepte aufzunehmen und sie umzusetzen. bereit sind. Ziel ist, in den 8 Monaten die „Repubblica Salentina“ als Markennamen bekannter zu machen.

Ihr Motto ist: „Nulla Dies Sine Linea“ – frei übersetzt „Kein Tag ohne Aktion“
Damit erklärt sich auch der Titel dieser Initiative „Class Action“

Die Lernziele sind hoch gesteckt und pragmatisch ausgerichtet. Es geht nicht um eine Unternehmenssimulation, sondern um ein echtes Unternehmen. Es geht um Kreativität und Machbarkeit, um Teamfähigkeit und um Führungsqualitäten. Es geht außerdem um den business-mäßigen Umgang mit den neuen Technologien, die SchülerInnen in ihrem Alter sonst eigentlich mehr als Sozialisierungsmedium kennen.

Zum „Spiel“ wird das Ganze dadurch, dass online Punkte vergeben werden, die Mitspieler über ihre Initiativen Buch führen und auch direkt bewertet werden. Die Schiedsrichter sind aufgeteilt in Lehrer, online-Besucher und eingetragenen „watchers“. Ein telefonisches Interview mit einer der verantwortlichen Lehrkräfte hat ergeben, dass es keinen „Gewinn“ als solchen gibt. Kein Geld zumindest! Selbstverständlich werden Teilnahmezertifikate ausgestellt, Schulcredits vergeben. Die Schüler hoffen jetzt auf eine in Aussicht gestellte Einladung im italienischen Fernsehen, das ist aber noch nicht bestätigt. Auf alle Fälle können sie sich aber als Urheber der Repubblica Salentina fühlen, als Unternehmer in eigener Sache, nämlich, Promotioners für ihre Region.

Meiner Ansicht nach ist dies eine mehr als gelungene Art, Schule zu gestalten.

Wir haben schon den 08. Februar und, der Februar hält was er verspricht. Es gibt zwar hie und dort einige Sonnentage, aber es ist noch immer recht frisch und der Winter ist noch nicht vorbei!

Der nächste Monat handelt dann endgültig vom Frühling…….

2 Kommentare:

sir henry hat gesagt…

komplimente
der beste beitrag bis jetzt
intresant,bildend,informativ,humor
alles da
bravo claudia

simona doktor hat gesagt…

Complimenti....
un baccione per te,Claudia!